Mitten aus dem Arbeitsleben

NRZ, Helen Sibum

DIE LINKE. NRW

Call-Center und die Linke passen ungefähr so gut zusammen wie Planwirtschaft und die FDP, aber Sascha Wagner hat es beruflich tatsächlich mal in eines verschlagen. Der Landtagskandidat der Linken im Wahlkreis 56 (Oberhausen II/Wesel I) war in jener Telefonfirma Projektleiter, sei als solcher angemessen bezahlt worden. Andere aber, erzählt er, bekamen nur 5,50 Euro Lohn, arbeiteten 50 Stunden wöchentlich und das mitunter drei Wochen ohne Pause. „Mit dieser Entwicklung sind Tür und Tor geöffnet, die Leute ins Elend stürzen zu lassen“, sagt Wagner und ist damit beim Leib- und Magenthema seiner Partei.

Auch Zeynep Bicici liegt Lohngerechtigkeit besonders am Herzen, schon berufsbedingt. Die 45-Jährige ist Gewerkschaftssekretärin bei der IG Bauen-Agrar-Umwelt, und wenn man sie fragt, ob es denn ein Schlüsselerlebnis gegeben habe bei der Entscheidung für die Landtagskandidatur, dann sagt sie: „Ich habe jeden Tag Schlüsselerlebnisse.“

Diese Erlebnisse drehten sich um Frauen mit Minijobs, „die irgendwann in die Altersarmut reinrutschen werden“, oder um junge Leute mit befristeten Arbeitsverträgen und unbefristeter Zukunftsangst.

Politisch stark machen wollen sich Bicici, Ratsmitglied in Oberhausen, und Wagner, der seit 2009 als sachkundiger Bürger im Dinslakener Sozialausschuss sitzt und die Geschäfte der Linken im Kreis Wesel führt, deshalb für einen Mindestlohn („unter zehn Euro kann ein Mensch nicht überleben“), für „sozialversicherungspflichtige Arbeit ab der ersten Stunde“ und überhaupt für eine Revision der arbeitsmarktrelevanten Gesetze. „Es ist erbärmlich, was in den Unternehmen passiert.“

„Schule für alle“

Generalüberholt gehört nach Meinung von Bicici und Wagner auch das Bildungs-, speziell das Schulsystem. Wobei Wagner betont, dass man keine „Einheitsschule“ wolle, wie der politische Gegner diffamierend formuliere, sondern eine „Schule für alle“. Dass die Abkehr vom dreigliedrigen System einzelne Kinder ausbremsen könnte, glaubt er nicht. Auf einer Urlaubsreise hat der gelernte Weber, der heute als „Integrationshelfer“ an einer Förderschule für geistig Behinderte arbeitet, sich die Pädagogik im Pisa-gelobten Finnland angesehen. „Stärkere Schüler werden schwächere mitziehen“, ist er überzeugt.

„Wir sind nicht irre“

Weil Wagner und seine Mitkandidatin es gewohnt sind, dass man die Finanzierbarkeit ihrer Anliegen – nicht nur in Sachen Bildung und Arbeit – anzweifelt, nehmen sie die Frage vorweg und gehen in die Offensive, sprechen von ungerecht verteiltem Reichtum und davon, schon Adenauer habe die Banken verstaatlichen wollen. Es ist immer auch ein bisschen entschlossener Trotz zu hören, wenn sie dabei wiederholt die Kritik der Konkurrenz zitieren. „Wir sind nicht die irren Linken“, sagt Bicici. „Wir sind mutig.“

Durchaus mutig zeigt sich Bicici, wenn es um das angepeilte Wahlergebnis geht. „15 Prozent plus x“, sagt sie auf die Frage nach ihrem persönlichen Ziel. Sie lacht ein bisschen dabei, aber man darf annehmen, dass sie es ernst meint. Sascha Wagner setzt seine Marke tiefer an, bei sechs Prozent.

Und was kommt nach der Wahl? Ein gering ausgeprägtes Interesse am Regieren sagt man ihrer Partei ohnehin nach und zuletzt haben einige Kreisverbände Rot-Rot-Grün per Plakataktion eine Absage erteilt. So weit würde Sascha Wagner nicht gehen, aber gerade im Bereich Sozial- und Bildungspolitik sei man nicht zu Zugeständnissen bereit. „Wir werden nicht zu Gunsten einer Regierungsbeteiligung von unseren Positionen abrücken. Wir können auch aus der Opposition heraus Druck machen.“

„Typisch kapitalistisch“

Bevor Wagner übrigens in jenem Call-Center einen Betriebsrat gründen konnte, hatte sich die Sache schon von selbst erledigt. „Der Chef hat in die Kasse gegriffen und das Unternehmen in die Insolvenz rauschen lassen“, sagt er und findet: „Ein typisch kapitalistisches Beispiel.“