Rede zur Erinnerung an die Reichskristallnacht 1938, heute vor 80 Jahren

DIE LINKE. Xanten

Meine sehr geehrten Damen und Herren.

Wir wollen heute Abend gedenken. Wir denken an die vielen jüdischen Bürgerinnen und Bürgern, denen vor 80 Jahren schweres Unrecht geschah, deren Gotteshäuser man geschändet, geplündert und angezündet hat.

 

Was soll man sagen an so einem Tag, an dem an das Grauen gedacht wird? Was soll man Neues sagen, da doch schon alles gesagt wurde über das Unmenschliche damals vor 80 Jahren.

Die Opfer der Pogromnacht mahnen in der Gegenwart und für die Zukunft, dem ganz normalen Alltagsfaschismus Widerstand entgegen zu setzen. Ein alltäglich gewordener Wahnwitz anno 2018, der sich ständig offenbart, immer wieder, immer gegen das Andere gerichtet, gegen Menschen, die zuwandern, die Hilfe und Asyl suchen oder jene, die zunehmend in Armut und Not geraten. Dazu kommt der nie zu Ende gegangene Antisemitismus – nicht nur hier, sondern in der ganzen Welt.

Die Parteien der Mitte sind in Wahrheit längst nach rechts abgedriftet – im Inneren wie auch im Äußeren. Aber eine geeinte Linke kann hier, wenn sie sich auf ihre Wurzeln besinnt, helfen. Auf dass nicht wieder viele zum Opfer der Horden der selbsternannten Wächter des Volkes, der Denunzianten und Verleumder, der Neider und Hasser werden.

Der Zusammenhalt gegen den Rechtsterrorismus muss international sein. In einer  gemeinsamen Welt für alle – in Freiheit, Gleichheit und Brüderlich- und Schwesterlichkeit.

Das Menschenrecht auf freie Meinungsäußerung hat dort seine Grenzen, wo das Unmenschen-Unrecht beginnt – im Faschismus, der in die Vernichtung von Andersdenkenden führt.

Wenn ich die neuen Entwicklungen in der Türkei sehe, das Verhalten der Ungarn und Polen in den letzten Monaten gesehen habe und die Entwicklung in Amerika beobachte, gestehe ich, dass ich in zunehmendem Maße Unbehaglichkeit verspüre.

Die Islamisten, die in Pakistan in den vergangenen Tagen auf die Straße gingen, sind wie die Leute, gegen die die Nato in Afghanistan seit 17 Jahren Krieg führt. Wer in Islamabad „Hängt Bibi“ schreit, der ruft in Afghanistan „Tötet die Ungläubigen“. Es ist der gleiche Mob, der vor 80 Jahren hier in Deutschland „Juden raus“ gerufen hat. Alle freiheitsliebenden Menschen werden durch solche Aktionen bedroht. Die islamischen Fanatiker sind heute eine Gefahr für alle, für Christen, Moslems, Juden, Buddhisten, Hindu, Atheisten und für alle freiheitsliebenden Menschen gleichermaßen.

Wie können wir heute verhindern, dass sich der Hass auf andere erneut ungehemmt entlädt?

Rechtsextremistisches, fremdenfeindliches Gedankengut ist längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen – in allen Schichten, in allen Bundesländern, in allen Generationen.

Das ist die bittere Wahrheit.

Toleranz, Respekt und Zivilcourage können nicht einfach von oben verordnet werden. Diese Werte müssen wir selbst leben und vor­leben, denn sie bilden das Fundament unserer demokratischen Gesellschaft. Sie sind unser Rüstzeug zum Einschreiten, wenn andere Böses tun.

Das Schweigen ist kein Zufall. Die Furcht und Angst vor den Islamisten hat die europäischen Hauptstädte längst erreicht. Unsere Regierung duckt sich weg. Sich jetzt still zu verhalten ist falsch. Dadurch werden diese Leute, dieser Mob nur weiter ermutigt. Ich will mir nicht ausmalen, wenn mehr mutige Menschen gegen diesen Rassenwahn vor 80 Jahren auf die Straße gegangen wären, es gab einige, aber zu wenige. An drei dieser Widerstandskämpfer und Märtyrer wird auch hier in Xanten in der Krypta des Domes erinnert, an Karl Leisner, Heinz Bello und Gerhard Storm, sie waren Journallisten, Gewerkschafter, Arbeiterführer und Priester.

Meine Damen und Herren,

der 9. November 1938 erinnert uns an das dunkelste Kapitel unserer Geschichte – und er mahnt uns, dass eine demokratische und menschliche Gesellschaft keine Selbstverständlichkeit ist, sondern eine dauernde Aufgabe, der wir uns stellen und für die wir werben müssen.

Unser Land, unsere Demokratie, braucht eine starke und ent­schiedene Mehrheit. Auch daran erinnern uns die Opfer vom 9. November 1938.

Wir müssen Demokratie immer wieder neu lernen.

Wir müssen akzeptieren, dass wir auch nach Jahrzehnten in einer Demokratie auf Ungewissheiten und Unsicherheiten immer wieder neue Antworten und Lösungen finden müssen.

Dabei dürfen wir verschiedener Meinung sein. Wir dürfen uns sogar streiten.

Aber wir dürfen nicht den Boden, auf dem wir stehen – das gemeinsame demokratische Fundament, das wir uns nach den Jahren der Diktatur mühevoll errichtet haben – jenen überlassen, die einfach nur am lautesten brüllen!

Die Erinnerung daran bedeutet eine besondere Verpflichtung, sonst ist sie ein leeres Gefühl oder ein überflüssiges Gerede.

Beides gehört deswegen zusammen: Dass wir – wie heute Abend hier – der schrecklichen Verbrechen gedenken, die vor 80 Jahren und danach an den Juden Europas verübt wurden – und dass wir aufstehen und aktiv werden gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus in unseren Tagen.

Die von Sarah Wagenknecht gegründete Aktion „Aufstehen“ will auch darauf aufmerksam machen, nicht bequem auf der Couch zu liegen und alles widerspruchslos hinzunehmen sondern aktiv zu widersprechen, Ungerechtigkeiten anzusprechen, Verbesserungen aufzuzeigen, sich für eine soziale und gerechte Politik einzusetzen, ehrenamtliche Tätigkeiten zu übernehmen, usw.

Auch hier in Xanten leben Menschen am Rande der Gesellschaft. Über 300 Menschen sind hier in Xanten auf die Unterstützung durch die Tafel angewiesen. Ich/Wir laden alle herzlich ein. Am 29.11.  18.00 Uhr treffen wir uns bei der Tafel. Auch hier handelt es sich um aus der Gesellschaft Ausgegrenzte. Wir sind auf dem Weg aus der Sozialen Marktwirtschaft  eine Unsoziale Kapital-Wirtschaft zu machen. Die in den letzten Jahren erfolgten Änderungen im Asylrecht zeigen schon in diese Richtung.

Wir müssen gemeinsam gegen unsoziale Regelungen in Politik und Gesellschaft zusammenstehen.

Meine Damen und Herren, liebe Mitglieder, Freunde, Sympathisanten und Xantener Bürger ich danke für die Aufmerksamkeit.